Michael Hewel
lucy in the sky with helicopters
Roman


coming soon

1

Sie ist jung, übergewichtig, depressiv. Sie bringt Kaffee, sieht mir genau in die Augen. Ihre sind traurig. Leben gelaufen, denke ich.
     - Auch was zu essen?
     - Nein, danke.
     - Eier sind im Angebot.
     - Ja, sage ich.
     - Was jetzt?
     - Die Eier, bitte.
     Ich kenne sie von früher, weiß auch noch ihren Namen, Anna, glaube ich. Oder Sarah. Sie saß im selben Kurs, war aber erst fünfzehn. Sie kam mit ihrem älteren Bruder und setzte sich einfach dazu. Sie besuchte Seminare und Vorlesungen in Literatur und Theater. Manchmal sah ich sie anschließend in der Cafeteria, sie war dann aufgedreht, redete viel. Damals trug sie Zahnspange und Kleidergröße 32. Leben noch nicht gelaufen. Noch nicht ganz.
     Wir tun so, als würden wir uns nicht kennen.
     Ich kritzle eine Eule in meinen Block, schreibe ein paar Worte. Seit zwei Jahren mache ich nichts anderes. Ohne zu wissen, was daraus wird. Im Moment ähnelt es am ehesten einem Comic. Lucy & Luke. Wie Bonnie and Clyde. Ich habe bestimmt schon dreißig Notizbücher zusammen, aber keinen Plan. Jeden Tag füge ich etwas Neues hinzu, ich kann nicht aufhören, eine Ansammlung von Einfällen, die keine Geschichte werden. Simuliertes Leben. Eines Tages werde ich aufgeben. Die Eule weiß das, sie tuschelt schon mit den anderen. Sie werden versuchen, mein Leben zu übernehmen, um ihres zu retten, ich kann sie kichern hören.
     Sie bringt die Eier. Daneben ein Croissant.
     - Brötchen sind aus, sagt sie.
     - Okay.
     - Hast du nachher schon etwas vor?
     Ich mag nicht über das nachdenken, was ich nachher vorhabe, und sage
     - Nein.
     - Kannst du mich abholen?
     - Was?
     - So um zwei.
     Ich mag das Mayday. Wenig los. Ein paar Typen, die auf ihre Handys starren. Ich bin hier, weil man seine Ruhe hat. Meistens trinke ich einen Cappuccino und denke an nichts. Heute trinke ich Kaffee und esse Rührei. Mit aufgebackenem Croissant. Das Leben gönnt mir eine Abwechslung. Das Leben meint es gut mit mir. Ich stochere in den Eiern, derweil wird der Kaffee kalt. Ich bestelle noch einen Cappuccino, bekomme wieder Kaffee. Also gut. Ich habe kein Leben.

     ich habe kein leben
     ich habe keine zukunft
     ich habe kein ziel
     ich habe keinen plan
     ich liebe lucy
     ich hasse geld
     (nein, geld hasst sich selber, dann mich)
     mehr muss ich nicht wissen
     über beziehungen die ich auch nicht habe
     und all den quark
     ich bin nicht clyde
     ich will nicht darüber nachdenken
     was ich brauche oder nicht
     wer ich nicht bin oder doch
     geld oder liebe
     kalter kaffee
     ich gehe jetzt lieber

Um zwei bin ich wieder da. Sie steht auf dem riesigen Parkplatz, schaut nicht, steht nur. Ich fahre langsam heran. Sie trägt eine altmodische Flickenjacke, Haare offen, Lippen geschminkt. Ich stelle den Motor ab, warte. Sie auch. Ich öffne die Tür, steige aus. Ihr Blick ist warm und fremd. Sie erinnert mich an niemanden.
     - Von wem ist die Musik?
     - Kennst du nicht.
     - Vielleicht doch.
     - Kennt keiner.
     Die Band heißt Damaged Goods. Ich schrieb die Texte, sang, spielte Bass. Bis ich rausgeschmissen wurde. Kurze Zeit später hat sich die Gruppe aufgelöst. Gerade läuft Massengrab, ein fast schon prophetischer Song.
     Wir fahren durch die Gegend, ohne Ziel. Manchmal sehe ich sie von der Seite an, sie sagt nichts, knabbert an ihren Fingernägeln. Früher wollte ich mal einen Film machen, in dem die Leute nur sitzen und schweigen. Keiner spricht, jeder in seinen eigenen Gedanken.
     - Hast du keinen Hunger?
     - Nein, sage ich.
     Fünf Minuten später sitzen wir im Saigon, essen Suppe. Ich frage mich, warum ich hier bin. Ich habe mich das schon so oft gefragt, dass die Frage kein Gewicht hat. Ich bin hier oder woanders. Es ist egal. Eigentlich müsste ich jetzt in einer Lagerhalle Paletten stapeln. Acht Stunden Maloche ohne Sonnenlicht. Stattdessen bin ich mit einem dicken Mädchen beim Vietnamesen und schlürfe Pho.
     Ich mag dicke Mädchen nicht. Dicke Mädchen sind meistens traurig. Oder wollen nur eins: abnehmen. Dabei essen sie ständig und fragen einen, ob man dick sei oder
     - Findest du mich hübsch?
     - Weiß nicht, sage ich, nicht besonders.
     - Aber du magst mich, oder?
     Eigentlich mag ich niemanden. Bis auf Lucy. Aber Lucy ist weg. Nächsten Monat werde ich dreißig. Dann sind es drei Jahre her, dass Lucy mich verlassen hat. An meinem 27. Geburtstag ist sie verschwunden.
     - Bist du noch mit diesem wahnsinnig schönen Mädchen zusammen?
     - Nein.
     - Wie hieß sie noch?
     - Das geht dich überhaupt nichts an.
     - Ich heiße übrigens Nora, sagt sie.
     - Ich weiß, sage ich.


(CONTINUED)